Soll meine Stadt im alten Umsatzsteuerrecht bleiben oder sollen wir auf das neue Umsatzsteuerrecht wechseln?
Ausgangslage:
Durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes und den damit vollzogenen Richtungswechsel der Gesetzgebung kam es zu einer Trennung der bisher gleichlautenden Annahmen für die Besteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus umsatzsteuer- und ertragsteuerlicher Sicht.
Aufgrund Artikel 12 und 18 Abs. 4 des Steueränderungsgesetzes 2015 (StÄndG) wurde daher vom Gesetzgeber die Umsatzsteuereigenschaft für juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Wirkung zum 01.01.2016 neu geregelt. Nach § 2 Abs. 3 der bisherigen Fassung des Umsatzsteuergesetzes (UStG) waren juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig und damit Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG. Nach R 6 Abs. 5 der Körperschaftsteuerrichtlinie 2004 (KStR 2004; zu § 4 KStG), aktuell R 4.1 Abs. 5 KStR 2022 (Zu § 4 KStG), wurde bei Unterschreiten einer Gewichtigkeitsgrenze (aktuell: 45.000 €, ehemals 30.678 €) bei den wirtschaftlichen Tätigkeiten regelmäßig keine Umsatzsteuerpflicht gesehen (stark vereinfachte Darstellung).
Gemäß § 27 Abs. 22 UStG neue Fassung ist die bisherige Regelung nur noch auf Umsätze, die nach dem 31. Dezember 2015 und vor dem 1. Januar 2017 ausgeführt werden, weiterhin anzuwenden. Für die weiteren Umsätze ist der neugeschaffene § 2b UStG maßgeblich. Mit der Neuregelung ist die Anknüpfung an den Betrieb gewerblicher Art entfallen. Privatrechtliches Handeln juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist unmittelbar nach den allgemeinen umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungen (insb. § 2 Abs. 1 UStG), öffentlich-rechtliches Handeln nach den Voraussetzungen des § 2b UStG zu bewerten.
Allerdings bestand die Möglichkeit einer siebenjährigen Übergangsregelung, in der das bis zum 31. Dezember 2016 geltende Recht durch Abgabe einer Optionserklärung an das zuständige Finanzamt weiterhin angewandt werden konnte. Nunmehr wurde vom Bundesgesetzgeber in Artikel 16 Ziffer 13 des Jahressteuergesetzes 2022 vom 16.12.2022 eine automatische Verlängerung der erfolgten Optionsanträge für sämtliche Leistungen, die vor dem 1. Januar 2025 ausgeführt werden, geregelt. Damit befinden sich Kommunen, die eine Optionserkläreung abgegeben haben, weiterhin im alten Umsatzsteuerrecht, sofern die Fortgeltung nicht gemäß 27 Absatz 22 Satz 3 UStG i. V. m. § 27 Abs. 22a UStG widerrufen wird.
Entscheidungshilfe:
Der Verfasser weist auf die folgenden Kriterien hin, die für die Entscheidung, ob eine vorzeitige Umstellung auf das neue Umsatzsteuerrecht erfolgt, betrachtet werden sollten. Dies ist keine abschließende Aufzählung und kann eine eigene verantwortungsbewusste Prüfung oder die Inanspruchnahme von Steuerberatungsleistungen selbstverständlich nicht ersetzen. Insofern wird auch keine Haftung für diese „Hinweise eines Praktikers“ übernommen:
- Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) hat mit Rundverfügung vom 23.05.2016 Regelungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung unter § 153 „Berichtigung von Erklärungen“ eingefügt. Hier ergibt sich aus Teilziffer 2.6 die Empfehlung, ein „innerbetriebliches Kontrollsystem […], das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient“, einzurichten. Ein solches wird von den Finanzbehörden mit herangezogen, um zu beurteilen, ob die Kommune grds. darauf ausgerichtet ist, diese Pflichten zu erfüllen. Liegt ein TCMS vor, kann dieses vor steuerstrafrechtlicher Haftung schützen (Steuerhinterziehung, § 370 AO, leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 AO), ein Fehlen eines solchen stellt ein erhöhtes Risiko dar.
Sofern der Aufbau eines systematischen städtischen TCMS für Umsatzsteuer erst mit dem städtischen Umsatzsteuerprojekt in Angriff genomemn wurde, fußen die im Rahmen der Implementierung ermittelten Faktoren häufig auf einer Analyse nach neuem Recht. So werden i. d. R. die zu überwachenden Risiken mit den notwendigen Prozessänderungen und Anpassungsnotwendigkeiten bei Verträgen und Vordrucken etc. bereits unter dem Gesichtspunkt des neuen Rechts ermittelt.
Bei Beibehaltung des alten Rechtes müsste insofern nicht nur validiert werden, ob die Anforderungen identisch oder abweichend sind. Ferner müsste ergänzend überprüft werden, ob nach alten Recht ZUSÄTZLICHE im Rahmen eines TCMS steuerungswürdige Risiken bestehen. Die durchgeführten Prüfungen für ein TCMS nach neuem Recht (aktuelle Überprüfung von Einzahlungen und Auszahlungen, Erträgen und Auszahlungen und sonstigen wechselseitigen Leistungsbeziehungen sowie Vertragsüberprüfung) müssten für ein rechtssicheres TCMS nach altem Recht konsequenterweise wiederholt werden.
Der laufende Kontrollaufwand in 2023/2024 wäre in der Folge deutlich erhöht, da parallel die bestehenden Risiken nach altem Recht im Blick behalten werden müssten und die Änderungen aufgrund der Risiken und Handlungsnotwendigkeiten nach neuem Recht ab 2025 ebenfalls bereits organisatorisch weiter verfolgt werden sollten.
- Mit der Vorbereitung einer Einführung des neuen Umsatzsteuerrechts wurde vielerorts erkannt, dass es notwendig ist, wesentlich mehr Mitarbeiter im neuen, komplexeren Umsatzsteuerrecht zu schulen, als dies in der Vergangenheit ausreichend war. Eine Rückkehr zum alten Recht bis Ende 2024 würde bedeuten, dass teils eine „Rückschulung“, teils eine erstmalige Schulung der Mitarbeiter auf das alte Umsatzsteuerrecht erforderlich würde, um unzutreffende Wissensstände und damit Fehler in der Anwendung des Rechtes in 2023 und 2024 zu vermeiden. Zugleich müssten die gegebenen neuen (TCMS-konformen) Handlungsanweisungen auf das alte Recht umgearbeitet bzw. um die Unterschiede zwischen altem und neuem Recht ergänzt werden. In 2024 würden dann wiederum Umschulungen auf das neue Recht erforderlich, um das Risiko eines steuerlich fehlerhaften Vorgehens ab 2025 zu begrenzen. Dennoch wären erhebliche Unsicherheiten, welche Schulungsinhalte dem aktuell anzuwendenden Recht entsprechen, in der Anwendung durch die Mitarbeitenden zu erwarten.
- Im Zuge der Umstellung auf das neue Umsatzsteuerprojekt wurden zum Teil die städtischen Betriebsprüfungen der letzten Jahre aufgearbeitet und Vereinfachungen mit dem Finanzamt bzgl. der steuerlichen Dokumentation/ Handhabung von Sachverhalten abgestimmt, deren Zulässigkeit sich teilweise auch aus dem kurzen Anwendungszeitraum ergibt. Bei Verbleib im alten Umsatzsteuerrecht müsste erneut ein Gespräch mit dem Betriebsprüfer gesucht werden. Ggf. müssten neue Interimsregelungen abgestimmt werden.
- Aufgrund der zeitlichen Mehrbelastungen aus den Punkten 1 bis 3 stünden auf den städtischen Expertenstelle deutlich verringerte Kapazitäten bereit, um das TCMS wirksam wahrzunehmen und steuergestaltend tätig zu weden, z. B. auch um neue Vorsteuerabzugsmöglichkeiten nach geänderter Rechtslage vorzubereiten. Dies bedeutet höhere Haftungsrisiken und mögliche finanzielle Nachteile.
- Bei Anwendung des neuen Umsatzsteuerrechtes werden die städtischen Konzessionsabgaben u. U. umsatzsteuerpflichtig. Somit muss im Falle der Umstellung ggf. kurzfristig ein Nachtrag zu den bestehenden Konzessionsverträgen durch das Beteiligungsmanagement auf den Weg gebracht werden, aus dem sich (zum Beispiel) ergibt, dass die Konzessionsabgabe rückwirkend ab Anfang 2023 als Nettoentgelt an die Stadt ausgekehrt wird, d. h. zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsatzsteuer. Ihrerseits müssten sich die Stadtwerke etc. sodann die Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückholen, sodass eine finanzielle Belastung sowohl bei der Stadt als auch beim Konzessionsabgabenschuldner vermieden werden kann.
- Last but most important: Prüfen Sie, ob die finanziellen Belastungen Ihrer Stadt ab 2023 nach neuem oder altem Umsatzsteuerrecht höher liegen werden. Sollten diese sich nach neuem Recht höher belaufen, prüfen Sie, ob die Differenz so hoch ist, dass dies einen Verbleib im alten Recht mit den unter Punkt 1 bis 4 genannten Risiken und Nachteilen rechtfertigt.
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